Es war an einem Dienstagmorgen um viertel vor neun, als Sharu die Kuh beschloss, sie habe genug.

Seit über einer Dreiviertelstunde stand sie nun mitten auf Neu Delhis Hauptstraße Rajpath und grübelte über ihr Leben nach. Links und rechts von ihr zockelten in gebührendem Abstand Taxis, Roller, Regierungsfahrzeuge und Fahrräder vorbei. Hin und wieder wurden Fotoapparate von innen an die Autoscheiben gedrückt, wenn mal wieder ein ungläubiger Tourist es nicht fassen konnte, dass der Otto-Normal-Inder zwar keinerlei Bedenken dabei hegt, eine mit gefühlten drei Milliarden weiteren Verkehrsteilnehmern verstopfte Straße ganz nach dem Motto „Ich hupe, also bin ich!“ wie selbstverständlich für sich alleine zu beanspruchen, es aber andererseits niemals wagen würde, eine heilige Kuh über den Haufen zu fahren oder auch nur ihr den Weg abzuschneiden.

Sharu kam seit drei Jahren jeden Tag auf den Rajpath, der nicht nur eine der wichtigsten Straßen Neu Delhis – ach was, ganz Indiens! – ist, sondern auch den Namen „Königsweg“ trägt, und daher gerade angemessen genug für eine Heilige ist.

So stand sie seitdem Tag für Tag dort und ärgerte die Autofahrer. Kamen sie in weiter Ferne noch angeschossen, verringerten sie ihr Tempo beim Anblick der Kuh so schlagartig, dass manche Fahrer an der Windschutzscheibe mit ihren Nasen ein putziges Muster hinterließen. Ehrfürchtig bildete sich eine Schlange (und Inder bilden sonst nie eine Schlange), um an Sharu vorbei zu fahren. Versuchten sie es links, stapfte Sharu auch nach links. Wollten sie rechts an ihr vorbei, ging auch sie nach rechts. Immer wieder lustig war es auch, Schlangenlinien im Schneckentempo zu laufen oder eine der Motorhauben der Wagen in der ersten Reihe, mit ein bisschen Kuhdung zu verzieren. Niemand hupte, niemand brüllte, niemand wagte auch nur ein Zucken.

Doch seit einigen Wochen bereitete dies Sharu keine Freude mehr.

Das Leben als Kuh in Indien ist eigentlich kein schlechtes. Man ist per Religion heilig, man wird nicht gegessen und alle Menschen fürchten die Wiedergeburt als Wurm, wenn sie eine Kuh auch nur schief ansehen. Allerdings ist so ein Leben auch noch etwas: Furchtbar öde. So sah es zumindest Sharu.

Abgesehen vom Autofahrer-Ärgern auf dem Rajpath, futterte sie sich den restlichen Tag durch die reichlichen Grünabfälle, die die Inder auf die Straße warfen und trottete am Abend heim zu ihrem kleinen Hof in einem Randbezirk Neu Delhis. Sie hatte noch nie etwas anderes gesehen, noch nie Neu Delhi verlassen und gesund konnte das ständige Herumstehen auf dieser abgasverseuchten Straße auch nicht sein. Ihr hellgraues Fell glänzte schon seit Langem nicht mehr und an diesem widerlichen Straßenmüll hatte sie sich kürzlich noch erst einen ihrer vier Mägen verdorben. Genug war einfach genug! Es musste sich etwas ändern.

Sharu gönnte dem Fahrer in einem gelben Ford noch eine große Portion Mist auf seinem Kühlergrill und stapfte anschließend hoch erhobenen Hauptes in Richtung Einkaufsstraße davon. Auf ihrem Weg legte sie nacheinander den Verkehr auf drei Kreuzungen lahm und ruinierte ein Zierbäumchen vor einer großen Parfümerie, als sie sich daran kratzte.

Die Touristen auf der Einkaufsstraße zückten entzückt die Fotoapparate, doch Sharu beachtete sie nicht. Sie hatte nur ein Ziel und erreichte es schon bald: Ein Reisebüro, das in dieser Woche mit „Inder in Island“ warb.

Schnaufend drückte die Kuh die Glastür zum Laden auf und mit ein bisschen Quetschen und Drücken kam sie ohne größere Schäden durch den Türrahmen und schließlich vor einem verdutzten Angestellten zum Stehen. Seine Lippen formten noch ein verwundertes „Oh!“,  bevor er in Ohnmacht fiel.

Als er zehn Minuten später wieder erwachte, stand Sharu vor den Resten der Topfblume, die sie gerade verspeist hatte. „Was...?“, fragte der Reisebüroangestellte und setzte sich verdattert auf. „Was willst Du hier?“

„Was will man wohl in einem Reisebüro?“, fragte Sharu ungerührt zurück.

„Du kannst sprechen??“ – „Ich bin heilig, ich kann alles!“

Der Mann kletterte zurück auf seinen Stuhl und sah die Kuh verwundert an.

„Also g-g-gut, was kann ich für Dich tun?“

„Ich muss dringend in den Urlaub!“, sagte Sharu. „Ich brauche eine Luftveränderung, weniger Hektik und ich will etwas erleben!“

Der Inder suchte nach den passenden Worten. „Wir sind ein Reisebüro für Menschen. Wir verschicken keine Kühe...“

„Ich will auch nicht verschickt werden“, brauste Sharu auf „Ich will reisen, wie jeder andere auch!“

„Aber Du bist eine Kuh!“

„Eben. Und Du musst tun, was ich sage.“ Die Kuh grinste und lies sich auf dem Boden neben dem Bürostuhl des Angestellten wieder. „Ambar“ stand auf seinem Namensschild, das sich wie ein Boot in Seenot auf seiner aufgeregt atmenden Brust auf und ab bewegte.

Der Mann seufzte und wünschte sich sichtlich, an diesem Morgen im Bett geblieben oder – besser noch – nicht als Reisebüroangestellter wiedergeboren worden zu sein. Viele irre Gestalten hatten schon an seinem Schreibtisch gesessen. Allerdings noch nie eine urlaubsreife Kuh.

„Wo soll es denn hingehen?“, fragte Ambar und rief als Zeichen der Kapitulation die Weltkarte auf seinem Rechner auf.

„Schön soll es sein, nicht übervölkert und voll mit frischer Luft“, antwortete Sharu. „Wo könnte das sein?“

„Wie wäre es mit den Alpen? Dort ist es schön und ruhig, es gibt viel frische Luft und vielleicht triffst Du ja auf Verwandtschaft ... es gibt dort viele Rindviecher“, lachte Ambar. Doch als er merkte, dass die Kuh dies ganz und gar nicht als scherzhaften Vorschlag aufgefasst hatte, startete er umgehend das Programm für Österreich.

Es verging etwa eine Stunde, in der Ambar und Sharu auf den Bildschirm starrten und mögliche Urlaubsorte sichteten. Das eine war Sharu zu voll, das andere lag an einer Autobahn, wieder andere Orte hatten zu viele störende Lifte. Ambar hatte schon die Hoffnung aufgegeben, als sie schließlich doch fündig wurden.

„Osttirol, Nationalpark Hohe Tauern, Virgental“, las Sharu. „Hört sich gut an!“

Ambar schnaubte: „Du weißt aber schon, dass es dort viele steile, anstrengende Berge gibt und dass die Leute Dich dort womöglich essen werden? In Österreich sind Kühe nämlich ganz und gar nicht heilig!“

„Wunderbar, ein Abenteuerurlaub! Ich möchte buchen.“

„Und wie, bitteschön, bekommen wir Dich dort hin?“, fragte Ambar herausfordernd.

„Lass Dir gefälligst was einfallen, ist ja schließlich Dein Job“, nörgelte Sharu augenrollend und setzte einen dicken Fladen genau vor die Eingangstür. Fast wäre ihr der Geduldsfaden gerissen, aber dann fand Ambar doch noch das passende App für sein iPhone. „Es lebe die Technik“, grinste er „Bist Du bereit?“

„Beim den acht Armen des Shiva, aber ja“, rief Sharu und als sie der Strahl von Ambras Handy traf, hörte sie nur noch ganz schwach, wie er ihr alles Gute wünschte. Dieses Reisebüro war wirklich empfehlenswert.

„Do haust Di weg!“

„Do hat’s an Dönndara getun un se woar her!“

„Olmächtiga!“

Das aufgeregte Geschnatter um sie herum drang nur langsam an Sharus Ohren heran. Die Reise hatte sich angefühlt, als hätte sie nur ein paar Minuten gedauert. In einer rasanten Fahrt war sie durch einen bunten Tunnel gerauscht, der auf einmal abrupt geendet hatte und dann war Sharu praktisch vom Himmel gefallen. „Do haust Di weg“ war das erste, was sie wieder wahrnahm. Zögernd traute sie sich zu blinzeln.

„Do! Blebezen tut’s!“

„Olmächtiga!“

Sharu sammelte all ihren heiligen Mut und öffnete ganz die Augen.

Sie sah sich auf einer Wiese liegen. Das saftig-grüne Gras war durchzogen von vielen blauen Blumen, die am Rand eines klaren, plätschernden Bächleins wuchsen. Das Wasser glänzte unter einer Sonne, die sich nicht erst durch eine Smokwolke hindurch kämpfen musste.

Zum ersten Mal in ihrem Leben sah Sharu einen blauen Himmel. Zum ersten Mal sah sie einen Berg. Zum ersten Mal hörte sie kein Hupen. Zum ersten Mal konnte sie durchatmen. Zum ersten Mal war sie frei.

Die Situation wäre definitiv ein emotional höchst ergreifender Moment gewesen, wenn nicht gleichzeitig 16 weit aufgerissene, braune Kulleraugen auf sie gerichtet gewesen wären, die sie anstarrten, wie Adam und Eva einander, als ihnen klar wurde, dass sie aus dem Paradies geflogen waren.

Sharu räusperte sich und sprach so freundlich wie sie nur konnte: „Namaste! Mein Name ist Sharu, ich komme aus Indien und mache bei Euch Urlaub!“ 

„Wos soagt’s?“, fragte eine braune, magere Kuh, die so alt sein musste, wie der Berg, auf dem sie stand.

„Se kommt aus Indien!“, brüllte ihr eine jüngere Kuh ins Ohr. „I-N-D-I-E-N!“

„Se hat Ideen??“

Sharu ignorierte die schwerhörige Kuh und wandte sich den anderen der achtköpfigen Gruppe zu.

„Ich wohne in Neu Delhi, aber dort fiel mir die Decke auf die Hörner. Könnt Ihr mir verraten, wo genau ich gelandet bin?“

Die Kühe waren sich zwar sichtlich unsicher, ob sie mit diesem vom Himmel gefallenen Wesen wirklich sprechen sollten und wollten, aber da es letztlich fast aussah wie eine von ihnen, wagte die Mutigste der Gruppe schließlich den Vorstoß: „I bin de Resi un mir san her im Großbochtol.“

„Großbachtal? Ich wollte doch ins Virgental. Blödes Reisebüro!“, rief Sharu und ließ sich wütend auf ein paar unschuldige Enzianblümchen fallen.

„Na, des is scho des Virgentol. Des innre Tol her heischt Großbochtol“, erklärte Resi.

„Ja prima!“, freute sich Sharu und stand direkt wieder motiviert auf den Hufen. „Und was gibt’s hier so zu erleben?“

„Wie meinst’n des?“, erkundigte sich eine kleine Kuh aus der hinteren Reihe, die sich sogleich als Bella vorstellte.

„Mir hoab’n an hoartes Leb’n. Mir müssen distre dastre herumloafn un uans wos zu fresse suachn!“

„ Da wo ich herkomme, wird es uns praktisch vor die Füße geworfen. Wir sind heilig!“, erklärte Sharu.

„Hoalig? Olmächtiga!“, muhte die Menge erstaunt und eine riesige Kuh namens Maus rief: „Naaa! Her samma Rindviach un könna seh’n wo ma bleim!“

„Herrlich“, jubelte Sharu und erneut sahen sie 16 weit aufgerissene, braune Kulleraugen an, als käme sie von einem anderen Stern.

Sharus erste Urlaubswoche ging um wie nichts.

Nach dem ersten misstrauischen Zögern (Osttiroler haben es halt nicht so mit Fremden) hatten die Kühe sie unter ihre Fittiche genommen und ihr stolz die Weide im hintersten Eck des Virgentals gezeigt.

Zu der Gruppe gehörten neben Resi, Bella, Maus und der alten Kuh namens Alma, die resolute Susi, die vorwitzige Berta und zwei schüchterne Jungtiere namens Toni und Vroni.

Das Großbachtal sah tatsächlich in echt so aus wie die schönsten Aufnahmen, die Ambar aus seinem Reisebürorechner gezogen hatte. Als Hochtal weit oben über dem Virgental gelegen und von unten nicht einsehbar, war es eng umrahmt von zahllosen teils schneebedeckten Dreitausendern, die dem Ganzen eine ähnlich atemberaubende Atmosphäre gaben, wie Sharu sie nur von indischen Kitschpostern kannte. Außer den Pfiffen der immer leicht hysterisch gestimmten Murmeltiere störte kein Lärm die Idylle und keine Straße durchzog die Szenerie. Parallel des Großbaches verlief lediglich ein kleiner Trampelpfad, auf dem nur gelegentlich ein paar Menschen entlang kamen und (ein Inder würde sich eher kreuzigen lassen) die neugierig schauenden Kühe liebevoll über den Kopf streichelten. Manchen Wanderern fiel absichtlich aus Versehen auch mal eine Möhre oder eine ähnliche Leckerei aus dem Rucksack, andere beachteten die Kühe kaum oder scheuchten sie gar vom Weg.

Meist wollten die Menschen schnell hoch zu Neuen Reichenberger Hütte, die etwa noch eine Stunde von der Weide am Ende des Tals entfernt lag. Sie wollten ihre müden Glieder ausstrecken und sich vielleicht für den langen Aufstieg mit einem „Kloaren“ belohnen. Sharu trauerte ihnen nicht nach und war froh, wenn sie schnell verschwanden und die Weide der lieb gewonnenen Stille überließen. Für sie war das Tal das Paradies, das sie sich so aus dem fernen Indien nicht hätte ausmalen können. Die klare Luft erfreute ihre Lungen, während sie mit Resi, Bella, Maus, Alma, Susi, Berta, Toni und Vroni über die einsamen Weiden stapfte und die saftigsten Halme suchte.

Ihr Fell strahlte in nie da gewesenem Grau und jeden Morgen freute sie sich, die Hörner in die Sonne zu strecken und dem lokalen Gott für diesen neuen Urlaubstag zu danken.

Aber eines Morgens strahlte die Sonne nicht mehr.

An die heftigen Regengüsse in den Bergen hatte Sharu sich schnell gewöhnen können. Sie waren geradezu lächerlich gegen die Regenzeiten in Indien, bei denen es nicht bloß aus Eimern goss, sondern aus „Made in India“-Containern. Aber das an diesem Morgen, das war kein Regen. Das an diesem Morgen war weiß und verdammt kalt.

„Olmächtiga! Und des scho im August“, rief Alma drei Stufen zu laut und schüttelte ihren alten Körper so gut es ging.

„Schaut’s! Ummedumme woaß!“, ergänzte Susi und schüttelte sich ebenfalls. „Donn kommta boald.“

„W-w-wer kommt bald?“, schnatterte Sharu und wünschte sich, Shivas acht Arme würde sich um sie schlingen und sie wärmen.

Resi antwortete: „Der Knaffl, unser Hirte. Es wiad Zoit zum Obstieg, bevor ma her zuaschnoin!“

„Wie, Abstieg?“, fragte Sharu und vergaß vor lauter Erstaunen, wie kalt ihr war. „Wohin geht Ihr denn?“

„Ins Tol, inna Stoll“, erklärte Vroni, stolz in ihren jungen Jahren auch mal jemandem etwas erklären zu können. „Doat übawintern ma!“

Baff stand Sharu da und starrte ihre Urlaubsbekanntschaften an. Sie verbrachten tatsächlich den ganzen Winter eingesperrt in einem Stall? Was war mit der grünen Wiese? Was mit den Möhren der Wanderer? Und vor allem: Was war mit der Freiheit? Beim Heiligen Vishnu, so hatte sie sich das Paradies nicht vorgestellt!

Es dauerte schließlich auch nur noch wenige Tage, bis der Hirte, der in Wahrheit nicht Knaffl sondern Alois hieß, tatsächlich im Großbachtal auftauchte. Mit einem großen Hirtenstab bewaffnet und zwei kleinen, aber bellfreudigen Hunden an den Fersen, kam er in großen Schritten den Trampelpfad herauf gestapft.

„Was mach’ ich denn jetzt?“, rief Sharu und lief panisch auf und ab. „Ich kann doch nicht einfach mitgehen! Ich wohne in Indien!“

„Joa ... warum denn oigentlich net?“, fragte die Vroni schüchtern. „Du g’hörst doch jetz zu uans…“

Sharu blickte die kleine Kuh fragen an: „Ich gehöre zu Euch? Meint Ihr das wirklich?“

„Joa sicha!“, rief Resi.

„Aber kloa!“, stimmt Susi zu.

„Büild Dia ober nua net oi, deschde hier de Olmächtiga bis!“, schnaubte die alte Alma, ließ sich aber gleichzeitig zu einem kleinen Zwinkern herab. „Un loss Di net so loang bittn, Herrschoftszoiten!“

Sharu war zutiefst berührt. Die Ösis wollte tatsächlich, dass sie blieb… sie, die Fremde aus Indien!

Seit zwei Monate war sie nun im Virgental. Die Hektik war aus ihrem Leben gewichen, das Gras schmeckte besser und es war schön, des Nachts die Sterne zu sehen, anstatt Coca-Cola-Werbetafeln. Andererseits interessierte sich hier niemand für ihre heilige Herkunft, niemand betete sie an, niemand wich ihr ehrfürchtig aus.

Niemand wich ihr aus … nein, niemand.

Sharu schluckte, als sie verstand, dass man das, was sie hier gefunden hatte Freundschaft nannte.

Diese osttiroler Kuhmannschaft hatte sie aufgenommen und ihr gezeigt, was wahres Rindvieh-Leben ist. Sicher gab es auch in Indien andere Kühe, aber man ignorierte sich untereinander einvernehmlich, da man genug mit der eigenen Heiligkeit zu tun hatte. Hier hingegen kümmerte man sich umeinander. Hier unterhielt und stritt man sich. Hier lachte man miteinander. Hier schloss man sich ins Herz.

Und das war es, was Sharu schließlich dazu bewog zu sagen: „I bloab!“

„Olmächtiga!“, rief Alma freudig „Jetz müassn ma des nua noch dem Knaffl beibringa!“

Alois, alias Knaffl, hatte die kleine Herde mittlerweile erreicht. Seine beiden Hunde taten unheimlich wichtig, verzogen sich aber schnell kleinlaut hinter Herrchens Beine, als Susi sie warnend anschnaubte.

„Joa, wes hamma denn hia?“, rief Knaffl erstaunt. „Wer bist’n Du?“

Er streichelte Sharu sachte über die Nüstern und begann ihre Ohren, ihr Fell und ihren Schwanz zu untersuchen.

„Bist a Wilde, häh? Wos mochma denn mit Dia?“, murmelte er nachdenklich, während er um die fremde Kuh herumging.

Fast meinte er zu sehen, dass ihm gerade neun Kuhdamen schöne Augen machten.

„Unfuag!“, schalt er sich irritiert, doch die Tiere starrten ihn in der Tag alle mit weit aufgerissenen, braunen Kulleraugen an.

Schließlich – er wusste selbst nicht genau warum – sagte er: „Also guat, nemma Di mit!“

Wie sehr sich Resi, Bella, Maus, Alma, Susi, Berta, Toni, Vroni und Sharu freuten, das konnte Alois nur aus dem plötzlichen Muh-Konzert erahnen. Schmunzelnd drehte er sich wieder ins Tal.“Loas geat’s, die Domen!“

Und so kam es, dass ein Virgentaler Kuhhirte mit neun statt mit acht Kühen den Bergsommer oben im Großbachtal beendete. Dass er fortan eine Heiligkeit zu seiner Herde zählen konnte, das ahnte er natürlich nicht – was Sharu auch ganz lieb und recht war. Sie trottete mit den anderen ins Dörfchen Prägraten hinab und verbrachte einen gemütlichen, wenn auch etwas engen und ungewohnt kalten Winter in Alois’ Stall. Sie beschwerte sich nie.

Doch als die Tage im folgenden Jahr wieder länger wurden und der Schnee immer mehr schmolz, konnten sie es alle nicht mehr erwarten, dass es wieder hoch auf die saftigen Bergwiesen ging – zu den stets leicht hysterisch gestimmten Murmeltieren unter einer Sonne, die sich nicht erst durch eine Smogwolke hindurch kämpfen muss.

Zu dem kleinen Paradies, das einer ganz besonderen Kuh ganz besonders viel Glück gebracht hatte.