Die Geschichte des Hochwasserschutzes ist ein Musterbeispiel für die Entwicklung eines Solidarsystemes von der reinen privaten Spende hin zu einem modernen Versicherungsstaat.

Nidwalden, am 10. August 1806: Ein Gewitter zieht sich über dem Engelberger Aatal zusammen und entlädt sich in einem „vielstündigen, beyspiellosen Wolkenbruch, als ob die Schleussen des Himmels zum Untergange des Gebürges und des Thales sich geöffnet hätten“, wie ein Chronist schrieb. Schlammlawinen und Erdrutsche begraben Häuser und Fahrwege, Hochwasser schwemmen Ställe und Vieh fort. Vier Monate später ergeht der freundeidgenössische Appell: Helft den von der Wassernot Geschädigten mit einem Almosen auf. Indes: Erst im darauf folgenden Jahr sehen die Katastrophenopfer etwas von dem Spendengeld.

2005, also bald 200 Jahre später, nähert sich im August das Genua-Tief und schüttet sich über der Innerschweiz aus: Im Engelberger Tal reisst das Geschiebe aus Stein und Schlamm Häuser nieder. Die sintflutartigen Regenfälle lassen den Vierwaldstättersee über die Ufer treten. Stansstad, Kehrsiten, Buochs und Beckenried sowie das von der Engelberger Aa geflutete Ennetbürgen stehen unter Wasser. Erdrutsche haben in Grafenort, Oberrickenbach und Wolfenschiessen Gewerbebauten und Bauernhöfe schwer beschädigt. Die Schäden belaufen sich auf 90 Millionen Franken. Die Schäden werden jetzt nicht mehr von spendefreudigen Miteidgenossen gedeckt – es ist nun Aufgabe der Gebäudeversicherer, hier gerade zu stehen.

Mahnung von der Kanzel
Zurück ins Jahr 1806. Im November erliess Landammann Andreas Merian, der damals der Eidgenossenschaft als eine Art Staatschef vorstand, ein Rundschreiben an die Kantone: „Im Namen des gnädigen Gottes und des gemeinsamen Schweizer Vaterlandes“ rief er zur nationalen Kollekte für die Geschädigten des Bergsturzes und den Überschwemmungsopfern Nidwaldens auf. Vor allem Pfarrer und Geistliche hatten nun den Auftrag von der Kanzel herunter das Gebot der Solidarität zu künden. Und die Prediger hatten in einem Zeitalter, in dem die Katastrophen nicht beinahe zeitgleich zum Ereignis über die Bildschirme liefen, mit viel rhetorischem Geschick die Herzen und damit die Portemonnaies ihrer Zuhörer zu öffnen.

Das Katastrophenjahr 1806 bildet den Auftakt zu einer Serie von national das Mitgefühl mobilisierenden „Liebesgaben“ – das Wort Spenden ging erst im 20. Jahrhundert in den helvetischen Wortschatz ein. Typisch dafür ist das „Landesunglück“ im Herbst 1868. Das schadensmässig grösste Hochwasser des 19. Jahrhunderts setzte weite Teile der Kantone Wallis, Tessin, Uri , Graubünden und St. Gallen unter Wasser. Damals erhob die straff von „kantonalen Hülfskomitees“ organisierte Spendenkampagne den Schwur der Landleute in Schillers „Tell“ zum Slogan: „Wir wollen sein ein einig Volk von Brüdern, in keiner Not uns trennen und Gefahr.“ Zurecht stellte der emeritierte Berner Umwelthistoriker Christian Pfister fest: Katastrophen dienen als „Plattform für die Festigung der nationalen Identität“. Denn neben der Armee, Landesausstellungen oder den eidgenössischen Schwing- und Singfesten, speist gerade die emotionell aufrüttelnde Katastrophen-Solidarität das Kraftwerk patriotischer Gefühle.

Professioneller Umgang mit Gefahren
Inzwischen ist die Katastrophenhilfe längst keine patriotische Übung mehr. Die Entwicklung der Naturwissenschaften hat auf breiter Ebene ein präventives Vorgehen ermöglicht. Doch mit dem gestiegenen Wert der Gebäude und dem exzessiven Zubauen der Täler hat sich auch das Schadenspotential erhöht. Andererseits entwickeln sich auch die Massnahmen.
Als besonders wirkungsvoll erwies sich 2005 die Hochwasserentlastung der Engelberger Aa in ihrem Mündungsgebiet zum Vierwaldstättersee. Exakt wie berechnet kippten die Betonplatten weg, als der Wasserdruck auf 200 Kubikmeter pro Sekunde anstieg. Sie gaben den Weg frei für eine Überlauffläche.
Aber immerhin hat sich bei den Überschwemmungen 2005 eines herausgestellt: Die computersimulierten Gefahrenkarten, in die alle historisch fassbaren Extremereignisse von Erdrutsch über Hochwasser bis zu Sturmschäden als Datenmaterial eingeflossen sind, stimmen. Das Hochwasser hat genau die Fläche bedeckt, welche die Gefahrenkarte für eine Flut von diesem Ausmass vorausgesagt hatte.