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Den Flechten im Hochgebirge könnte es schon bald zu warm werden. Wissenschaftler befürchten ein grosses Absterben dieser an die Klimaextreme angepassten Spezialisten.

So zerbrechlich wie ein Stück Pommes Chips ist die Jungfrau-Nabelflechte, wenn sie in einer Art Totenstarre, ohne jeden Stoffwechsel, noch den widrigsten Umweltbedingungen trotzt. Ihr Lebensraum sind die Gipfelregionen der Viertausender. Dort klammert sie sich mit ihrer nabelartigen Haftscheibe an steilen, windexponierten Felswänden fest. Erstmals entdeckt wurde sie auf dem Jungfrau-Gipfel im Jahr 1841. In der Schweiz kommt die Flechtenart vor allem im Berner Oberland und im Wallis vor, weltweit auch in den Rocky Mountains, im Himalaya und den Pyrenäen. Seit ihrer Entdeckung blieb sie, wie alle der weit über hundert Flechen, die in den Alpen in der nivalen Zone vorkommen, von der Forschung weitgehend unbeachtet. Das ändert sich nun. “Die prognostizierte Klimaveränderung sowie veränderte Niederschlagsverhältnisse in den Alpen könnten den Flechten arg zu schaffen machen", befürchtet der Biologe und Flechtenspezialist Christoph Scheidegger von der Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL.

 
Rosarot gefärbt ist die Unterseite der Jungfrau-Nabelflechte. Gut zu erkennen ist der Nabel, mit dem sich die Pflanze am felsigen Untergrund festklammert. (Bild: WSL)

Pilz sorgt für Behaglichkeit
Flechten sind Lebensgemeinschaften von Pilzen und Algen. Bei der Jungfrau-Nabelflechte schafft der Pilz ein behagliches Ambiente für die Alge, damit diese mit Hilfe des Sonnenlichtes Nährstoffe aufbauen kann, auf die wiederum der Pilz existenziell angewiesen ist. Steht auch genügend Feuchtigkeit zur Verfügung, können beide Lebewesen gedeihen. Doch fliessendes Wasser ist auf einem Viertausender eher die Ausnahme als die Regel. Mit ein paar Tricks schafft es die Jungfrau-Nebelflechte, den natürlichen Rahmen etwas zu ihren Gunsten zu sprengen. Auf ihrer Oberseite ist sie dunkel gefärbt, so dass sie sich sogar bei diffusem Licht etwas erwärmt. Chemische Zusätze erlauben es, den Gefrierpunkt des Wassers so zu beeinflussen, dass keine Frostschäden an der Flechte auftreten. Im Labor wurden schon Flechten beobachtet, deren Algen noch bei minus 17 Grad zur Photosynthese fähig waren. Am wohlsten fühlt sich die Jungfrau-Nabelflechte, wenn Nebelschwaden um die Gipfel wabern. Dann saugt sie sich mit Wasser voll und fühlt sich wie ein Stück Leder an. Doch selbst unter einer Schneeschicht setzt die Flechte ihre Photosynthese fort, solange etwas Licht zur Verfügung steht.

Meistens scheintot
Wenn alles nichts mehr hilft, fällt sie in einen scheintoten Zustand. Christoph Scheidegger schätzt, dass die Jungfrau-Nabelflechte rund 70 Prozent der Zeit ohne jeden Stoffwechsel überdauert. Das Wachstum ist damit extrem verlangsamt. Aus Beobachtungen bei andern Flechten im Hochgebirge lässt sich ein Wert von maximal einem Zehntelmillimeter pro Jahr abschätzen. Eine Jungfrau-Nabelflechte mit einem Durchmesser von zehn Zentimetern könnte so ohne weiteres tausend Jahre alt sein. Auch die Fortpflanzung hat unter solchen Umständen Zeit. Während sich die Alge vegetativ vermehrt, entwickelt der Pilz an der Oberfläche schwarze Sporenbehälter, aus denen bei idealen Bedingungen einzelne Sporen ausgestossen werden - wie oft das geschieht, weiss niemand. Ob diese vom Winde verweht oder von Insekten oder gar Vögeln verteilt werden, ist unbekannt. Auch wie die Sporen eine neue Wirtsalge finden, ist weitgehend unerforscht. Christoph Scheidegger möchte nun, neben einer Bestandesaufnahme, mit einer genetischen Analyse von Jungfrau-Nabelflechten aus verschiedenen Gipfelregionen herausfinden, wie weit sich diese überhaupt ausbreiten können. Es wäre ein wichtiges Indiz, wie sehr die Flechten an ihren jeweiligen Lebensraum gebunden sind. Scheidegger glaubt nicht, dass die Jungfrau-Nabelflechte in der Lage wäre, sich genetisch an stark veränderte klimatische Bedingungen anzupassen. Er rechne eher damit, dass sie von nachrückender Konkurrenz aus tieferen Lagen verdrängt werden könnte - womit dann sogar die bisher als weitgehend ungefährdet angesehenen nivalen Organismen in die Rote Liste der gefährdeten Arten der Schweiz aufgenommen werden müssten.

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