Die Salzburger Festspiele (heuer vom 21. Juli bis 30. August) gelten als das weltweit bedeutendste Festival der klassischen Musik und darstellenden Kunst. Ein Augenschein.

Der Saal des Grossen Festspielhauses: ein kontemplatives Gesamtkunstwerk (Bild: Andreas Kolarik)

Unvermittelt ist der Strom weg, nur noch ein paar Notstromlichter beleuchten den Saal im Grossen Salzburger Festspielhaus. Für den 1960 eröffneten Bau des Architekten Clemens Holzmeister mussten 55'000 Kubikmeter Fels aus dem Mönchsberg herausgebrochen werden. Der Saal mit 2179 Sitzplätzen und einer hundert Meter breiten Bühne ist ein kontemplatives Meisterwerk, die schiere Grösse wird durch eine hervorragende Akustik und eine dezente, festliche Farbgebung konterkariert. Man fühlt sich noch auf den hintersten Plätzen willkommen. Das Publikum ist geduldig. Alle bleiben sitzen, es wird kaum getuschelt. Ob die Wiener Philharmoniker, wie die überwiegende Mehrheit des Publikums Stammgäste an den Salzburger Festspielen, auch bei Kerzenlicht spielen würden? Ein schöner Gedanke, zumal sie heute Mozart spielen, aus einer Zeit, als die Konzertbühnen noch von Kerzenleuchtern erhellt wurden. Wahrscheinlich hätten sie sich für Taschenlampen entschieden. Aber sie müssen es nicht darauf ankommen lassen. Mit zwanzigminütiger Verzögerung beginnt das Konzert, in dessen erster Hälfte das etwas lustlose Orchester durch manche Ungenauigkeit irritiert, um dann nach der Pause, als es unter Leitung des lettischen Dirigenten Mariss Jansons Anton Bruckners selten gespielte 6. Symphonie gibt, in einer Perfektion aufzuspielen, die das fachkundige Publikum von den Sitzen reisst.

Ein Weltereignis
Die 1920 gegründeten Salzburger Festspiele sind ein kulturelles Weltereignis. Aus 81 (davon 41 aussereuropäischen) Ländern strömen jährlich über eine Viertelmillion Besucherinnen und Besucher während der sechs hochsommerlichen Festspielwochen in die Mozartstadt, um gegen 200 Veranstaltungen, Opern, Konzerte und Schauspiele, beizuwohnen. An der Fassade des Festspielhauses findet sich eine Inschrift des Benediktiners Thomas Michels (1892 – 1979): Sacra camenae domus concitis carmine patet quo nos attonitos numen ad auras ferat. Der Muse heiliges Haus steht Kunstbegeisterten offen, als Entflammte empor trage uns göttliche Macht. Dieses Pathos steht den Salzburger Festspielen gut. Alles scheint hier von den kulturellen Höhenflügen aufgeladen zu sein, und selbst die Besuchermassen, die sich in den Sommermonaten täglich zu Zehntausenden durch die barocke Altstadt bewegen, scheinen, sei es aus Ehrfurcht oder aus der Müdigkeit des Sight-Seeings, sich davon etwas erschlagen zu fühlen. Das ganz hervorragend gestaltete, 2009 mit dem Europäischen Museumspreis ausgezeichnete Salzburg Museum in der 2007 umgebauten Neuen Residenz (es ist nur einer von zehn Museumsstandorten in Salzburg) hat man dennoch fast für sich. Die Dauerausstellung „Mythos Salzburg“ spannt einen weiten Bogen durch die jüngere Stadtgeschichte, und es zeigt sich, wie bei allen „Mythen“, dass es einigen Marketingaufwand braucht, um aus der vorhanden Substanz – eine reiche, wechselvolle Geschichte, die in zwei Jahrhunderten von mächtigen, absolutistisch regierenden Fürsterzbischöfen mit grosser Rücksichtslosigkeit geschaffene, barocke Bausubstanz (heute Weltkulturerbe), eine zauberhafte Landschaft und die vor allem im frühen 19. Jahrhundert geradezu überschwängliche Begeisterung romantischer Maler, von Schriftstellern und Wissenschaftlern – eine Weltstadt der Kultur und des Tourismus zu machen. Salzburg war damals – in Anspielung auf die in den höheren Schichten so beliebte Sommerfrische -die „Saisonstadt“. Die Weiterentwicklung zur Festspielstadt war da nur logisch.

Die schönste Theaterkulisse der Welt: Der Salzburger Dom (Bild: Salzburg Tourismus)

Zu den Festspielen gehört der „Jedermann“. Ohne das alljährlich auf dem Domplatz in einer Freilichtaufführung dargebotene Stück von Hugo von Hofmannsthal, das nach der Premiere am 22. August 1920 seit 1926 mit Ausnahme der NS-Zeit 1938 – 1945  durchgehend auf dem Spielplan der Festspiele steht und damit selbst zum Mythos und Selbstläufer geworden ist, wären die Salzburger Festspiele vielleicht doch nur eines unter vielen. Getreu dem Motto der Gründergeneration um den Schauspieler Max Reinhardt (1873 – 1943) „von allem das Höchste“ wird hier Schauspielkunst, in den Hauptrollen dargeboten von den besten des Fachs, gezeigt, aktuell Tobias Moretti in der Rolle des Jedermann. Die Requisiten sind von einer wohltuenden Sparsamkeit, die der grossartigen Kulisse, dem Salzburger Dom gerecht wird, die Figuren sind bis in die unwichtigste Nebenrolle (die Besetzung der für das Stück eigentlich fast bedeutungslosen, die Rolle der Frau als ewige Verführerin zementierende „Buhlschaft“ schafft es alljährlich in die Schlagzeilen) hervorragend besetzt, und doch wundert man sich ein wenig, wie es ausgerechnet dieses etwas altbackene, zutiefst religiös aufgeladene Stück alljährlich auf diese Weltbühne schafft. Es muss das Pathos sein, an dem es auch beim Jedermann nicht mangelt.