Ein neues Jahr mit viel unverbrauchter Zeit hat begonnen. Die Zeichnerin Gabriela Oberkofler hat sich bereits Zeit genommen, Liebe und Sorgfalt investiert, um sich Objekten im Tiroler Volkskunstmuseum in Innsbruck anzunähern. Ihre Zeichnungen von diesen „Dingen“ fordern Wertschätzung und Aufmerksamkeit ein. Nehmen Sie sich Zeit und spazieren Sie durch die ungeheuer poetische Ausstellung „Gabriela Oberkofler. Prekäre Leben“ im Tiroler Volkskunstmuseum, die von Helena Pereña sehr stimmig gestaltet wurde (bis 26. März 2017).

 

Die Geburt eines Kindes, ein Moment der Naturgewalt, ist für die Mutter auch ein schmerzhaftes Erlebnis. Schmerzen im weiblichen Körper wurden in vergangenen Jahrhunderten mit eindrücklichen Symbolen dargestellt: So stand die Kröte für das Beißen und Zwicken im weiblichen Unterleib. Die Stachelkugel vermittelte fühlbar das Stechen in der Gebärmutter. Diese Votivgaben sind Teil der permanenten Ausstellung „Das prekäre Leben“ im Tiroler Volkskunstmuseum, im der sich die Künstlerin Gabriela Oberkofler umgesehen und einzelne Objekte herausgegriffen hat. Indem sie diese zeichnete.z

Prekär ist jedes Leben. „Das Prekäre Leben“ im Tiroler Volkskunstmuseum zeigt sehr anschaulich das Sein des Menschen von der Geburt bis zum Tod im historischen Tirol. Ein Leben, begleitet von Hoffnungen und Sorgen, umgeben von religiösen Symbolen, aber auch von solchen, die wir heute dem Aberglauben zuordnen – da Dinge, die sich nicht erklären lassen, gegenwärtig wenig Platz haben. Genau das Nicht-Erklärbare interessiert Gabriela Oberkofler. Und lässt sie sehr subtil auf Menschliches und Dingliches blicken.

Stirne Gottes Farben träumt, / Spürt des Wahnsinns sanfte Flügel. (Georg Trakl). Oberkofler hat deshalb auch die genannten und weitere Votivgaben ausgesucht und zeichnerisch interpretiert, indem sie das Vorbild in Farbpunkte auflöste. Da sie dazu reine Farben verwendet, verfremdet und  aktualisiert sie die historischen Artefakte. So verwandelt sich die Stachelkugel in ein blumiges Gebilde. Die Kröte wirkt nun wie ein in Petit-Point-Technik besticktes Stofftier.

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Gabriela Oberkofler, Zeichnung aus der 21-teiligen Serie „Votivfiguren“, 2016, Aquarell auf Papier, 21 x 29,7 cm. Foto: Gabriela Oberkofler.

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Gabriela Oberkofler, Zeichnung aus der 21-teiligen Serie „Votivfiguren“, 2016, Aquarell auf Papier, 21 x 29,7 cm. Foto: Gabriela Oberkofler.

 

Gleichzeitig stellt die Künstlerin damit ein Objekt in den Mittelpunkt. Es kann genau betrachtet werden, befreit aus dem musealen Kontext. Aufgrund der gewählten Zeichentechnik beschäftigt sich Oberkofler zeitintensiv mit jedem „Ding“: Sie seziert es quasi, indem sie es in Punkte auflöst, die sich im Auge des Betrachters wiederum zum Bild zusammensetzen. Beim Arbeiten findet ein Nachdenken der Künstlerin über das „Ding“ und seine Geschichte statt. Dabei ist ihr Respekt vor dem Objekt wichtig: „Denn ich glaube, die Gesellschaft kann sich nur verändern, wenn wir respektvoller miteinander umgehen.“ Mit ihren Arbeiten will sie sich daher gegen Ignoranz und das permanente Keine-Zeit-Haben wenden.

Sterbeklänge von Metall; / Und ein weißes Tier bricht nieder. (Georg Trakl). Manchmal kommt ein ganz besonderes Tier: ein weißes – das von den anderen deshalb gemieden wird. In der Ausstellung  positioniert Oberkofler ein („ausgestopftes“) weißes, also albinotisches Reh in einen Kreis aus Häuschen, für die Stachelzweige mit blutroten Fäden gebunden wurden. Das „unschuldige“, („arme“?), vielleicht heilige, weiße Tier ist so gleichzeitig beschützt und bedroht. Das Reh selbst wirkt höchst unheimlich: Aufgrund seiner Fellfarbe verdammt zum Außenseiter, ist es schnell zum Tod verurteilt. Weitere „weiße“ Tiere in der Ausstellung erzählen ebenfalls die Geschichten von Auserwählten.

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Blick in die von Helena Pereña kuratierte Ausstellung „Gabriela Oberkofler. Prekäre Leben“ im Tiroler Volkskunstmuseum; zentral: Weibliches Reh mit Albinismus aus dem Pustertal (gefunden 1900), Dermoplastik, Inv. Nr. 6, Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum, Naturwissenschaftliche Sammlungen. Foto: Wolfgang Lackner.

Stille wohnt in blauen Räumen / Einen langen Nachmittag. (Georg Trakl) Und die Frau und Mutter, die am Beginn dieser Geschichte unter Schmerzen ein Kind geboren hat? Auch sie vergeht. Die Zeichnung „Gegen Himmel“ verweist auf Sterben und Tod der Gebärerin. Diese – angetan mit Rock und Schürze – fährt vielleicht zum Himmel auf. Oder hängt sie an einem Baum? Ihre Kleidung bleibt jedenfalls. Sie wurde – wie jene anderer bäuerlicher Frauen – im Museum archiviert.

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Gabriela Oberkofler, Gegen Himmel, 2016, Aquarell auf Papier, 114 x 220 cm. Foto: Gabriela Oberkofler.

 

Schatten drehen sich am Hügel / Von Verwesung schwarz umsäumt. (Georg Trakl). Im nächsten Ausstellungsraum entdeckt der Besucher zwei Kreise. Bäuerliche Schuhe von Männern, Frauen und Kindern, teilweise „familiär“ geordnet, bilden den ersten Kreis als Zeichen der Gemeinschaft. Die alten, solid gearbeiteten, stark genutzten Schuhe lassen Bilder der einstigen Träger beim Betrachter entstehen. In einer Zeichnung feiert Oberkofler drei dieser Frauenschuhe.

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Blick in die von Helena Pereña kuratierte Ausstellung „Gabriela Oberkofler. Prekäre Leben“ im Tiroler Volkskunstmuseum; im Vordergrund: Gabriela Oberkofler, Schuhe, 2016, Installation mit Trachtenschuhen aus dem Depot des Tiroler Volkskunstmuseum; an der Wand: Gabriela Oberkofler, Raubvögel, wartend, 2016, Aquarell auf Papier, 114 x 230 cm. Foto: Wolfgang Lackner

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Gabriela Oberkofler, Zeichnung aus der 21-teiligen Serie „Votivfiguren“, 2016, Aquarell auf Papier, 21 x 29,7 cm. Foto: Gabriela Oberkofler.


Der zweite Kreis entsteht durch schwarze Vögel, die einen jungen Gefiederten ausschließen. Die Scharfschnabeligen fixieren derart die blutroten Beeren in ihrer Mitte, dass sie den Außenstehenden gar nicht bemerken können. Und Vorsicht: Die Scharfschnabeligen können sich jederzeit ins Zentrum stürzen – und zuschlagen!

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Gabriela Oberkofler, Raubvögel, wartend, 2016, Aquarell auf Papier, 114 x 230 cm. Foto: Gabriela Oberkofler.

 

GABRIELA OBERKOFLER
wurde 1975 in Bozen geboren und ist in Jenesien (Südtirol) aufgewachsen. Sie hat an der University of Visual Arts, Corner Brook, Neufundland (1997 – 1998), an der Fachhochschule für Kunsttherapie in Nürtingen (1998 – 2002) und an der Staatlichen Akademie für Bildende Künste in Stuttgart (2002 – 2009) studiert.
2014 wurde die Künstlerin mit dem Paul-Flora-Preis 2014 ausgezeichnet.
Die Ausstellung PREKÄRE LEBEN im Tiroler Volkskunstmuseum ist ihre erste museale Präsentation in Nordtirol.

BEGLEITPUBLIKATION
Die Ausstellung wird von der Publikation „StudioHefte 30. Gabriela Oberkofler. Prekäre Leben“, ISBN 978-3-900083-67-0, 160 Seiten begleitet. Dieser wurden auch Zitate sowie Teile des Gedichtes „In den Nachmittag geflüstert“ (1912) von Georg Trakl entnommen.

Zum Autor DR. HELMUTH OEHLER:
www.helmuth-oehler.at
www.facebook.com/people/Helmuth-Oehler/100012861840674

 

Weitere Bilder zur Ausstellung:

 

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Gabriela Oberkofler, Zeichnung aus der 21-teiligen Serie „Votivfiguren“, 2016, Aquarell auf Papier, 21 x 29,7 cm. Foto: Gabriela Oberkofler.

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Gabriela Oberkofler, Zeichnung aus der 21-teiligen Serie „Votivfiguren“, 2016, Aquarell auf Papier, 21 x 29,7 cm. Foto: Gabriela Oberkofler.

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Gabriela Oberkofler, Zeichnung aus der 21-teiligen Serie „Votivfiguren“, 2016, Aquarell auf Papier, 21 x 29,7 cm. Foto: Gabriela Oberkofler.

 

 

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Gabriela Oberkofler, Zeichnung aus der 21-teiligen Serie „Votivfiguren“, 2016, Aquarell auf Papier, 21 x 29,7 cm. Foto: Gabriela Oberkofler.

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Blick in die von Helena Pereña kuratierte Ausstellung „Gabriela Oberkofler. Prekäre Leben“ im Tiroler Volkskunstmuseum; im Vordergrund: Gabriela Oberkofler, Schuhe, 2016, Installation mit Trachtenschuhen aus dem Depot des Tiroler Volkskunstmuseum. Foto: Wolfgang Lackner.

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Blick in die von Helena Pereña kuratierte Ausstellung „Gabriela Oberkofler. Prekäre Leben“ im Tiroler Volkskunstmuseum; links im Vordergrund: Kopulierende Tiger, Dermoplastik, Inv. Nrn. 2008-221, 2008-222, Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum, Naturwissenschaftliche Sammlungen; an der Wand: Gabriela Oberkofler, Zeichnungen aus der 21-teiligen Serie „Votivfiguren“, 2016, Aquarell auf Papier, je 21 x 29,7 cm. Foto: Wolfgang Lackner.

Gabriela Oberkofler, Zeichnung aus der 21-teiligen Serie „Votivfiguren“, 2016, Aquarell auf Papier, 21 x 29,7 cm. Foto: Gabriela Oberkofler.